„Es steckt viel Potenzial in Ethanolanlagen“

Expertin schätzt Zukunft von Biokraftstoff E10 ein 

Warum tanken nicht mehr Autofahrer E10 und ist die Kritik an Bioethanol berechtigt? Diese und weitere Fragen beantwortet Dr. Franziska Müller-Langer, Leiterin des Bereichs Bioraffinerien beim Deutschen Biomasseforschungszentrum, im Interview.

Dr. Franziska Müller-Langer
Bereichsleiterin Bioraffinerien DBFZ

Dr.-Ing. Franziska Müller-Langer ist Bereichsleiterin Bioraffinerien beim Deutschen Biomasseforschungs-zentrum. Im Schwerpunkt beschäftigt sich der Bereich mit der Forschung und Entwicklung zu biobasierten Produkten und Kraftstoffen.
Bild: © DBFZ

Trotz zahlreicher Vorteile tanken nach wie vor nur wenige Deutsche E10. Warum hat Bioethanol offenbar hierzulande ein schlechtes Image? 

Franziska Müller-Langer: Die spannende Frage ist, ob nur Bioethanol als Kraftstoff ein schlechtes Image hat oder ob dies nicht wahrnehmbar auf vieles zutrifft, das mit erneuerbaren Energien verbunden ist. Seit Ende der 2000er Jahre rückt zunehmend das Thema Nachhaltigkeit in die Diskussion, vor allem im Zusammenhang mit der Ressource Biomasse. Seinerzeit und teils auch heute noch wurden und werden medial aufgebauscht sehr eindrückliche Bilder wie zum Beispiel von der Regenwaldrodung in Südostasien oder Südamerika im Zusammenhang mit Biokraftstoffen gezeigt und pauschal von der Umweltschädlichkeit von Biokraftstoffen aus Anbaubiomasse gesprochen. Dies ist kaum halt- beziehungsweise belegbar und die Treiber hierfür sind in der Regel andere Ursachen. So dienen beispielsweise etwa 48 Prozent der weltweiten Verwendung von angebautem Getreide und circa 72 Prozent von Ölsaaten als Futtermittel für die Nutztierhaltung. Die gleichen Ressourcen für Biokraftstoffe machen gerade einmal acht beziehungsweise vier Prozent aus. Konkret für E10 ist zu konstatieren, dass es bei der Einführung neuer Kraftstoffe einer umfänglichen Aufklärung der Nutzer bedarf und einer sachgerechten Bezeichnung der Kraftstoffe (z.B. E5 statt Superbenzin). Klar ist also: Bioethanol müsste dieses Imageproblem keinesfalls mehr haben.   

Welche erwähnenswerten Entwicklungen hat denn der Biokraftstoffsektor gemacht? 

Müller-Langer: Es ist durchaus anzuerkennen, dass sich der vergleichsweise kleine Biokraftstoffsektor (circa drei Prozent der Kraftstoffe weltweit) im vergangenen Jahrzehnt vom Sündenbock zum Vorreiter in punkto Nachhaltigkeit entwickelt hat. Mit den Festlegungen der Europäischen Erneuerbare-Energien-Richtlinie RED von 2009 sind erstmals klare Nachhaltigkeitskriterien für die Herstellung von Biokraftstoffen festgelegt worden; darunter auch Anforderungen an die Fläche, auf der die Biomasse angebaut wird (z.B. Ausschluss von Rodung von Primärwäldern), eine Methodik zur Bilanzierung der mit der Biokraftstoffproduktion verbundenen Treibhausgasemissionen und spezifische Treibhausgasminderungen (nunmehr mindestens 65 Prozent gegenüber fossilen Kraftstoffen), die per Zertifikat nachgewiesen werden müssen. Zudem wurden umfassende Zertifizierungssysteme geschaffen, die ausgehend von den Biokraftstoffen mittlerweile auch andere biomassebasierte Produkte zertifizieren. Erstmals wurden im Bereich der Biokraftstoffe Marktregeln geschaffen, die international gelten und auch positiv auf andere Anwendungsbereiche wirken.  

Sobald ein Biokraftstoff in Europa genutzt werden soll, muss er also strenge Kriterien erfüllen, egal woher er kommt? 

Müller-Langer: Richtig, egal woher er kommt. Der Inverkehrbringer, im Regelfall die Mineralölunternehmen, muss per Zertifikat nachweisen können, dass der Bioethanol, den er E5 oder E10 beimischen möchte, diesen Kriterien genügt. Diese Zertifizierungssysteme müssen in Deutschland und Europa anerkannt sein. Wenn sie das nicht sind, kann der Inverkehrbringer die Ware auch nicht auf die Treibhausgasquote anrechnen lassen. Für ihn wäre das sinnlos. Die RED II von 2018 geht sogar noch ein Stück weiter und deckelt die Menge an konventionellen Biokraftstoffen aus Rohstoffen, die auch in den Nahrungs- und Futtermittelsektor gehen können. So und durch Anreize für den Einsatz von biogenen Abfall- und Reststoffen versucht man, dem Risiko indirekter Landnutzungsänderung verbunden mit dem Biomasseanbau entgegenzuwirken.  

Was passiert denn eigentlich mit dem Rest der Biomasse, der nicht zu Ethanol wird? 

Müller-Langer: Das kommt ganz darauf an, welchen Rohstoff verwendet wird. Ethanol wird im Regelfall durch die alkoholische Fermentation von Zucker hergestellt. Diese Zucker stammen direkt aus zuckerhaltigen oder werden aus stärkehaltigen Ressourcen gewonnen. Kommt Lignocellulose zum Einsatz, wie z.B. Stroh, bedarf es eines vergleichsweise aufwendigeren Aufschlusses zu Zucker, bei dem z.B. auch Lignin anfällt. Bei der Fermentation fällt neben Ethanol prozessbedingt auch CO2 an, das in der Getränkeindustrie oder als Kohlenstoffträger für synthetische Produkte und Kraftstoffe genutzt werden kann. Nach der Abtrennung des Ethanols wird die Schlempe im Regelfall aufbereitet, je nach eingesetztem Rohstoff z.B. zu DDGS (Dried Distillers Grains with Solubles), also getrocknetes Substrat, das als Futtermittel weiterverwendet wird. Nimmt man zum Beispiel Getreide als Ausgangsstoff, kann zusätzlich Gluten (sog. Klebeeiweiß) abgetrennt werden. Die Schlempe kann außerdem zu Biomethan weiterverarbeitet werden, das sich vielfältig einsetzen lässt (z.B. im Verkehr). Eine Ethanolanlage ist eine Multiproduktanlage, die neben Kraftstoff eine Reihe weiterer Produkte für unterschiedliche Anwendungen bereitstellt. 

„Eine Ethanolanlage ist eine Multiproduktanlage, die neben Kraftstoff eine Reihe weiterer Produkte für unterschiedliche Anwendungen bereitstellt.“
Dr. Franziska Müller-Langer
Bereichsleiterin Bioraffinerien DBFZ

Das ist den meisten Verbrauchern gar nicht bewusst. Viele denken lediglich: „Mit E10 spare ich auch nur ein paar Prozent CO2 ein. Was mache ich alleine schon für einen Unterschied?“ 

Müller-Langer: Ein altes Sprichwort sagt: willst Großes Du erreichen, fange mit dem Kleinen an. Wichtig ist es, das nötige Bewusstsein beim Verbraucher zu schaffen und ihn zu ermuntern, wo immer möglich etwas für das Klima und die Umwelt zu tun, ohne dass es einen großen Aufwand bedarf. Autofahrer können tagtäglich sehr einfach zum Klimaschutz beitragen, indem sie mit ihrem in der Regel für E10 freigegebenen Benzinfahrzeug nicht mehr E5, sondern gleich E10 tanken, also quasi die doppelte Menge an nachhaltigem Biokraftstoff und damit doppelten Klimaschutz. Es gibt keinen Grund mehr dafür, kein E10 zu tanken

Nehmen wir mal an, alle Bestrebungen sind erfolgreich und jeder, der E10 tanken könnte, steigt auch tatsächlich auf diesen Kraftstoff um. Haben wir dann nicht ein Problem mit den Bioethanolbeständen? 

Müller-Langer: Das Problem sehe ich nicht. Biokraftstoffe sind international gehandelte Waren. Und die Kapazitäten in Deutschland und Europa sind nicht ausgelastet. Würden jetzt alle E10 tanken, ergäbe sich ein Mehrbedarf an Ethanol von circa 0,76 Mio. Tonnen für die Beimischung bezogen auf 2020. Zum Vergleich: In Deutschland wurden 2020 etwa 0,70 Mio. Tonnen Ethanol erzeugt, weltweit waren es 2019 um die 86 Mio. Tonnen, in der EU vier Mio. Tonnen. Man hätte also eine signifikante Nachfragesteigerung, die durch einen erhöhten Import nach Deutschland gedeckt werden würde. Pandemiesituationen mal außen vorgelassen, reagiert der Markt hierauf erfahrungsgemäß adäquat. Zudem wird international zunehmend über die Perspektiven von E20 beziehungsweise A20 (Alkohol bis zu 20 Volumenprozent zusammen mit Methanol) gesprochen.  

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Deutsches Biomasseforschungszentrum

Das Deutsche Biomasseforschungszentrum (DBFZ) mit Sitz in Leipzig ist ein gemeinnütziges Unternehmen des Bundes für anwendungsorientierte Forschung und Entwicklung zur nachhaltigen Biomasseverwertung für eine klimaneutrale Bioökonomie.  

Gutes Stichwort. E10 wird also nicht das Ende des Biokraftstoffs sein?  

Müller-Langer: Kurz- bis mittelfristig lässt sich Klimaschutz im Verkehr am einfachsten mit erneuerbaren Kraftstoffen aus Biomasse realisieren. Dies gelingt nur, wenn bestehende Beimischungsgrenzen in den Kraftstoffnormen angepasst werden. Zudem wird neben konventionellem Ethanol aus zucker- und stärkehaltigen Pflanzen an Ethanol aus Lignocellulose gearbeitet, das als fortschrittlicher Biokraftstoff in der Treibhausgasquote einen besonderen Anreiz erhält. Es gibt erste Demonstrationsanlagen, die z.B. Stroh verwenden. Das sind zwar aufwändigere Verfahren, die es jedoch erlauben bislang ungenutzte Reststoffpotenziale zu nutzen. Die Hersteller haben die Möglichkeit, sich ab einer Mindestmenge doppelt anrechnen zu lassen. Das gibt ihnen einen Anreiz, obwohl die Technik natürlich komplexer und teurer als bei konventionellem Ethanol ist.  

Benziner wird man in Deutschland ab 2035 nicht mehr kaufen können. Was passiert dann, wenn wir bis dahin zig Bioethanolanlagen gebaut haben? 

Müller-Langer: Langfristig gesehen leben wir in einer zunehmend erneuerbaren Kreislaufwirtschaft, in der auf fossile Ressourcen verzichtet werden muss. Ethanol ist ähnlich wie Methan ein Grundstoff, der vielfältig eingesetzt werden kann. Den großen Vorteil von Multiproduktanlagen haben wir kürzlich während der Pandemie buchstäblich hautnah gespürt. Statt Ethanol für Kraftstoffe zu produzieren, haben Unternehmen auf Alkohol für Desinfektionsmittel umgeschwenkt. Doch werden wir Ethanol zukünftig auch in großem Umfang benötigen, um etwa Ethylen als Grundstoff für die chemische Industrie herzustellen (z.B. für Kunststoffe). Wir werden Bioethanol also auch abgesehen von Biokraftstoffen weiter brauchen. Das Thema Biomasse als nachhaltige erneuerbare Kohlenstoffquelle, unter anderem für Kraftstoffe, wird auch langfristig wichtig sein. Es gilt aus den Erfahrungen zu lernen und auch bekannte Anlagentechnik adäquat weiterzuentwickeln und zu optimieren. Kein System geht perfekt an den Start.  

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